Auf dem Weg von Rom nach Moskau in der S12 begegnet man mancherlei seltsamen Gestalt; sei es ein Sitz oder ein Fenster.
Jeder, jede und jedes hat eine Geschichte zu erzählen: Eine interessante oder eine langweilige.
Es empfiehlt sich, zuzuhören. Denn bevor die S12 in München zum ersten mal hält, gibt es keine Möglichkeit für einen Besuch der öffentlichen Toiletten.
Es trug sich also zu, dass vor wenigen Tagen, als ich geschäftsbedingt mit der S12 nach Moskau fuhr, mich ein Tier ansprach, ein Mensch, genauer gesagt und mich nach meinen Hobbies befragte.
„Nach Moskau“ antwortete ich und lächelte verschmitzt in mein Fäustchen.
Lächle nicht, Pudelchen.
Die Antwort schien zufrieden zu sein mit dem gegebenen Fremden.
Da hielt der Zug. Neu Delhi.
Immer noch ein Fäustchen auf den Lippen tragend trat ich in die Zarenstadt, deren Türme aussehen wie gigantische männliche Glieder.
Bald würde ich meinen alten Freund Suleymjan wiedersehen.
Doch es kam ganz anders, als ich es erwartet hatte: Als ich den Hund streichelte, schnappte er nach meinem Koffer, den ich leider im Zug vergessen hatte, irgendwo zwischen Genf und dem CERN, ich weiss nicht mehr genau, wo.
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Der Soldat sass in seinem Wohnzimmer und zündete sich eine frisch gestopfte Pfeife an. Paffend lehnte er sich zurück und blinzelte verträumt an die Decke.
Warum? Habe ich nicht alles getan? Was ist falsch gelaufen? Hätte ich etwa nicht in die Ferien gehen wollen sollen? Oder einfach nicht meine Ferienlektüre in jener Bibliothek besorgen? War die Intention fehlerhaft? Meine Absichten von Beginn weg böse? Hab’ ich geschwitzt, als ich die kühle Klinke berührte? Gezuckt? Hat mir die grauhaarige Frau nicht schon beim Eintreten einen Gift ausspeienden Blick zugeworfen? Nur Einbildung? Aber.. das Buch hatte da nicht etwa schon auf dem Tisch gelegen? Oder doch? Warum weiss ich es nicht mehr? Erscheint eine Selbstschuld unter allen Umständen nicht irreal? Doch wer? Wer steckt hinter allem? Der Mann? Hat er mir, den Drahtzieher darstellend, aufgelauert? Ich? Er? Mir? Und wieso, verdammt noch mal, hab’ ich nicht den Krimi genommen und heil die Bibliothek verlassen? Wieso musste ich nur so tödlich neugierig sein? Wie ist das Buch jetzt schon wieder..? Und das Messer? Die Stange? Der Drang? Warum schlagen Menschen ihnen wildfremde Bücher auf? Erfüllen wir unter Druck alle Forderungen? Habe ich gelesen oder nur mit meinen Augen die Buchstaben überflogen, aufgesaugt und verinnerlicht? Und genau.. warum haben wir Menschen ständig das Bedürfnis, schrecklich schlimme Wahrheiten anderen mitteilen zu müssen? Herdentrieb? Aufmerksamkeitsgeilheit? Egoismus? Warum hat mich die Frau beobachtet? Gar den Diebstahl gesehen, den Schmuggelversuch bemerkt? Und hat der Mann gar nicht nur das Buch, sondern auch das Messer zu mir gebracht? Ergäbe das Sinn? Ergäbe die Zahl „Hundert“ Sinn? Warum habe ich, um es den Polizisten auch schön leicht zu machen, das blutverschmierte Schneidewerkzeug in der Leiche stecken lassen? Bin ich dann davongeschlichen? Getrottet? Gegangen? Gar, das Buch zwischen Arm und Leib gepresst, gerannt? Und wo steht mein Auto jetzt eigentlich? Spielt das eine Rolle? Eine Rolle auf der Bühne eines Verrückten? Spielte ich eine Rolle oder spiele ich sie immer noch? Und woher drang der plötzliche Schuss? Warum haben Menschen Instinkte? Und, scheisse, hat er etwa auch die Stange hingelegt? Wieso? Was habe ich getan? Müssen wirklich andere für meine kleinen Sünden sterben? Der Obdachlose? Warum kam er nicht frontal auf mich zu? Warum von hinten? Wo er wohl wohnt? Wohnte? Waren meine Reflexe einfach zu gut? Meine Nerven über ihre Grenzen angespannt? Und wie war der Mann überhaupt an das Buch gekommen? Hatte ich es liegen gelassen? Als ich das Opfer des Messers verliess? Hab’ ich denn lange danach gesucht? Wusste er das alles? Weiss? War er schon lange dagestanden, die Hände tief in die Manteltaschen vergraben? Hatte er alles beobachtet? Das Finden? Den verzerrten Gesichtsausdruck beim Lesen? Den Mord? Den Mord? Lief das alles auf die Erklärungen hinaus, die er mir verschwieg? Hat er den Rest im Übrigen ernst gemeint? Dass er Beweise für meine Taten habe und nicht zögern würde, der Polizei dieselben zu übergeben? Wusste er? Wusste er, dass er gewonnen hatte, just in dem Moment, als er meine erstarrte Fratze sah? Dass ich seine Bedingungen akzeptieren würde? Egal, wie sie aussahen? Dass es jetzt keine Rolle mehr spielte? Wusste er, dass mich das Warten zermürbt? Die verdammte Ungewissheit? Liess er mich absichtlich das Wissen mitnehmen? Schweigend nach Hause laufen? Hatte er geplant, dass ich jetzt auf dem Sessel sitze und über das Wissen nachdenke? Und welche rolle spielte der Zufall? Kann man den Zufall verbannen? Was tue ich? Was werde ich tun? Gehe ich schon bald schlafen? Und wie werde ich dies tun? Wann werde ich mich nicht mehr an die scheusslichen Bilder erinnern? Werden mich die Fragen noch weiter plagen? Was ergibt Acht mal Vier? Was heisst Biene auf Spanisch? Bin ich Soldat oder spiele ich nur einen? Was hat er wohl mit dem Buch gemacht? Auf den nächsten Tisch gelegt? Verbrannt?