iBlind

Manchmal erwache ich nicht, wenn mein Wecker klingelt, bimmelt, schellt. Dann bleibe ich einfach liegen und verweile in Träumen.
Heute nicht, ich erwachte zeitig, schnalzte genervt mit der Zunge, atmete tiiiief ein und nahm mir vor, aufzustehen, wenn ich diesen Schwall Luft wieder ausgestossen hatte. Es geschah dann etwas seltsames: Ich behielt die Luft in mir, krallte sie fest und sperrte sie ein, um den letzten Rest Sauerstoff herauszuwinden; ich atmete einfach nicht aus.
Toll, dachte ich mir zuerst, dann muss ich nicht aufstehen.
Doch dann kriegte ich Angst. Ich muss doch ausatmen! Das geht doch nicht, das ist ein Kreislauf, ein uraltes Gleichgewicht.
Panisch rannte ich, noch immer im Pyjama, aus der Wohnung und versuchte eine aufgeschreckte Passantin mit Gehstock anzuschreien, es gelang nicht, ich konnte keinen Hauch ausatmen. Verzweifelt schmiss ich mich zu Boden und rollte hysterisch umher.
"Ich weiss, was ihnen helfen kann, mein Herr!", sagte die Strasse. "Oder... besser gesagt weiss ich, wer ihnen helfen kann, mein Herr!", murmelte sie dann belustigt. Mit Kreide, die ich bei mir trug, schrieb ich "WER?" auf den Asphalt.
"Tattookünstler?", grinste die Strasse. "Aber na gut... Fragen sie Vernon, den Franzosen!"
Vernon, fuhr es mir durch den Kopf, warum habe ich nicht schon lange daran gedacht?
Als Bezahlung verlangte mein Wecker Vernon drei Küsse; mit Zunge. Dann stotterte er zufrieden den Satz, der mein Leben grundsätzlich veränderte:
Man muss nicht ausatmen, um wieder einatmen zu können.