eingehalten

Joseph wuchs einfach auf, zum Mittagessen war er sich Gemüse gewohnt und Kartoffeln, wenn es Sonntag und nicht weit vom Zahltag war vielleicht Wurst, die die Mutter vom befreundeten Bauer günstig abkaufen konnte, wenn sie ihm dafür die stinkenden Füsse massierte.
Wie jetzt also auf dem Lande im Reich, in dem Joseph noch als ganz grüner Bursche wohnte, die fiese Pest ausbrach und seinen tüchtigen Vater erbarmungslos dahinraffte - zum Glück hat er nicht leiden müssen - fiel die Pflicht, die Familie zu erhalten und ernähren auf Joseph, den noch jungen.

Sorgfältig hatten die Mutter und Josephs kleine Schwester Elise seine Sacken gepackt und kompakt auf ein altes kariertes Tuch gelegt, damit er die Güter problemlos an einen Wanderstock binden konnte, sobald er aufbrechen sollte. Es lag auch etwas Wurst da, ganz gute Wurst, für die Josephs Mutter bestimmt lange hatt des befreundeten Bauers Füsse massieren müssen.
In Josephs Gedanken tanzten die Gefühle; aber nicht um ein Trauerfeuer weil er die gekannte Umgebung und geliebte Familie zu verlassen hatte, sondern viel eher weil sie gar nicht wussten, wohin sie sich setzen könnten.

Ganz verwirrt aber auch glücklich spazierte Joseph nun los, den Wanderstock mit den feinen Dingen fest auf die Schulter gepackt und die guten Marschstiefel des Vaters, für welche dieser ja nun keinen Gebrauch mehr hatte, fest zugeschnürt. Er fühlte sich für Ungewisses bereit.
Die folgenden Wochen gestalteten sich für den jungen Joseph nicht einfach, im nächsten grösseren Dorf fand er zwar rasch Anstellung doch der Meister erkannte schnell, dass Joseph zwar tüchtig aber nicht besonders schlau war und bezahlte den wirklich hart anpackenden Jungen sehr schlecht, das Geld reichte für die Familie nicht aus und so liessen sie ihm einen Brief zukommen, in dem Mutter und Elise die guten Leistungen lobten aber auch auf die Notwendigkeit eines höheren Einkommens Josephs hinwiesen.
Es ging in einem ähnlichen Muster weiter, Joseph fand stets neue Stellen und packte - ungelernt wie er war - jeweils gut an, obwohl er immer niederigen Lohn erhielt, das Problem war, dass er sich nie im Kopf behalten konnte, wie viel Geld er bei der vorherigen Stelle erhalten hatte.

Sechseinhalb Wochen nach seinem Aufbruch klopfte Joseph an der Türe eines gewissen Herrn Tageshut, dessen Aufgabe im Dorf darin bestand, Dinge zu zählen aber das wusste Joseph nicht und so klopfte er halt an, obwohl er nicht mit Zahlen umgehen konnte, gar nicht.
Tageshut lachte herzerwärmend, als er den jungen, ausgebeutelten Joseph erblickte, dessen anfangs hoffnungsvoller Blick beinahe vollständig ergraut war. Seinen Wanderstock hatte Joseph an die Wand gelehnt und er war an den Tisch gesessen, wo er von dem Herrn eine Tasse schwarzen Tee serviert bekam.
"Kannst du Dinge zählen, mein Junge?", fragte Herr Tageshut sanft und musterte Joseph eindringlich.
"Ich.. Ich denke nicht, Herr. Solche Dinge lernte ich auf dem Land, bei Mutter, nicht." Hastig fügte er hinzu: "Und Elisa auch, natürlich." Beinahe.
Herr Tageshut lächelte mild und legte die Stirn in Falten. "Du bist hier richtig!"

Natürlich - wie es sich in solchen Situationen ergibt - durfte Joseph lange nur sehr einfache Aufgaben ausführen, den Kunden die Türe öffnen oder Tee aufsetzen doch oft nahm ihn der Meister nach Feierabend zur Seite und führte ihn in die Kunst des Zählens ein.
Die eigenen Finger und Zehen, Zähne oder Sommersprossen auf den Händen, damit begann Joseph. Er zählte seine Daumen einzeln und zusammen, zählte Finger und Fingernägel, verglich dann die Zahlen.
Schnell wurde der eigentlich sehr gelehrige Junge besser und begann Münzen zu zählen, Papiere, Schafherden und Hühner in von lautem Gegacker erfüllten Ställen. Abends legte er sich auf eine Wiese und zählte Sterne, Wolken, Bäume, Menschen.
Herr Tageshut war erstaunt und sehr zufrieden, wie zügig der Junge sein Geschäft zu verstehen begann und setzte denselben bald als Stellvertreter seiner Selbst ein. Joseph war sehr glücklich und bekam gar eine schöne Assistentin zur Hand, welche den Kunden die Tür aufhielt, Tee aufkochte und die Post für den Stellvertreter sortierte, schliesslich wuchs ob den tollen Fähigkeiten Josephs das Ansehen von Herr Tageshuts Geschäft, viele Leute kamen auch von fern in das abgelegene Dorf, um Aufträge abzugeben.

Joseph begann herumzureisen. Oft wurde er in Städte bestellt, in denen er riesige Herden oder Heere zu zählen hatte und gute Kleider hatte er auch.
Nur hatte Joseph - der ja immer noch jung war - ob der ganzen Aufregungen vergessen, Geld an Mutter und Elise zu entsenden, die Assistentin hatte in ihrer verständlichen Unwissenheit die rotschreienden Briefe als unerwünscht aussortiert, Joseph erfuhr erst durch die Zeitung von ihrem tragischen Hungertod.