Die Stadt - 2


Kirchengeschichten

Die Frau war neu in die Stadt gezogen, vor kurzem. Ihr Mann hatte sie dabei - ausser in Gedanken - nicht begleitet, sie waren geschieden. Das Kind hatte die Frau mitgenommen, ein dreijähriges Mädchen, süss.
An Weihnachten besuchte die Frau mit ihrem Mädchen den Gottesdienst, es war ganz schön, die Kinder da vorne sangen unschuldige Lieder voller Heiterkeit. Da fing ihr Mädchen an, auf der Empore herumzurennen. Nichts schlimmes, das machen Kinder in diesem Alter. Das Mädchen stampfte mit ihren Gummistiefeln, die sie sich gegen den feuchten Matsch anlegen hatte müssen, laut auf den Holzboden. „Ich reagiere am besten gar nicht“, dachte sich die Frau. Es wusste sowieso niemand, dass das ihre Tochter war. Wie gesagt, neu in die Stadt gezogen.
Das Mädchen begann zu rufen, zu schreien. „Es wird sich beruhigen“, betete sich die Frau in Gedanken selbst zu. „Es weiss niemand, dass das meine Tochter ist. Wenn sie schweigt, ist alles vergessen.“ Das Mädchen schwieg nicht, es tobte, es raste, es rannte kreischend auf der Empore herum und in der Menge erhob sich ein dumpfes Murmeln.
Die Frau wollte nicht reagieren, aber sie musste. Sie konnte nicht mehr anders. Da nahm sie ihre Tochter sanft an den Schultern und brach ihr das Genick.