Elena mochte es sehr, wenn Dinge Struktur hatten und berechenbar waren. So wandte sie auch jeden Morgen nach rechts an der Hauptstrasse und bog in den Lerchenweg ein, überquerte dann die Fröhlichkeitsallee auf den gelben Streifen, um der Landgasse folgend zu ihrem Arbeitsort, einem Gebäude der Stadtverwaltung, zu gelangen.
Ihr Bruder und bester Freund hatte ihr geraten, diese verkrusteten Strukturen aufzubrechen, da sie manchmal unter ihrer eigenen Fröhlichkeit und Zufriedenheit gelitten hatte.
Also machte sie sich an diesem einen Mittwoch auf, einen neuen Arbeitsweg zu erkunden. An der Hauptstrasse hatte sie noch nicht genug Mut gefasst, sie musste sich zuerst einwärmen quasi, der Lerchenweg sollte ihr die Kraft zusprechen, auch bei der Fröhlichkeitsallee hatte sie noch nicht genug Mut gesammelt, ABER: Die Landgasse bliebt an diesem einen Mittwoch von ihren Sohlen unberührt, sie wählte den - zugegebenermassen etwas längeren - Weg über den ländlichen Jakobspfad.
Und wie sie da staunte: Jetzt sah sie die Südseite des Stadtverwaltungsgebäudes zum ersten Mal! Eine Offenbarung. "Wieso habe ich mir das all die Jahre angetan?", fragte sich Elena und lachte an diesem Tag noch mehr als sonst, was ja genau nicht das Ziel gewesen war und deshalb labte sie sich an der schmerzlichen Erinnerung an diesen Mittwoch, wenn sie ab Donnerstag wieder auf ihren gewohnten Pfaden wandelte. Der Bruder war zufrieden.